Quelle:
Sächsische Zeitung - Donnerstag, 30. November 2006 – Seite 3
Der Müller und der Müll
Von Frank Tausch
Leppersdorf. Die
einen sagen Heizwerk, die anderen Müllofen. Bürger stimmen über eine
Investition von etwa 120 Millionen Euro ab.
Wenn die Dämmerung hereinbricht,
springen die modernen Peitschenlampen in Lomnitz an. Alle. Entlang der
Lomnitzer Hauptstraße leuchtet es heller als in vielen anderen Gemeinden, die
aus Spargründen nur noch jede zweite ihrer Straßenlampen Dämmerlicht verbreiten
lassen. Das Dorf Lomnitz, gelegen zwischen Radeberg und Pulsnitz, gehört zur
Gemeinde Wachau. Die ist nicht reich, aber auch nicht ganz arm, wofür vor allem
ein zweiter Ortsteil sorgt. Auch in Leppersdorf springen die Lampen an und
lassen am größten Betrieb auf dem Gemeindeterritorium die silberglänzenden
Tanks und den großen, deutschlandweit bekannten Schriftzug leuchten: „Müller“.
Als sei ein
Riesen-Ufo neben der Autobahn Dresden-Bautzen niedergegangen, liegt der riesige
Komplex inmitten ländlicher Idylle. In Leppersdorf steht die nach eigenen
Angaben größte Molkerei Europas, die Sachsenmilch, die zum Imperium von
Milchmogul Theo Müller gehört. Eine Molkerei der Superlative. 1700 Beschäftigte
arbeiten hier, täglich wird ein Milchsee von über vier Millionen Litern verarbeitet.
Kein Pappenstiel
Das Verhältnis
zwischen Müllers Reich und der Region war nie besonders eng – Arbeitskräfte
kommen von weit her, Milch kommt von noch weiter. Doch nun braucht der
Europameister die Dörfler, braucht die Stimmen der Leppersdorfer und Lomnitzer,
der Wachauer, der Seifersdorfer und der Leute aus Feldschlößchen. 3768
Wahlberechtigte leben hier. Sie sollen am zweiten Advent in einem
Bürgerentscheid darüber befinden, ob der Bebauungsplan der Gemeinde geändert
werden soll im Sinne Müllers. Oder ob nicht. Es geht um eine 120-Millionen
Euro-Investition. Kein Pappenstiel.
Einige Bürger der
Gemeinde machen mobil gegen den Milch-Mogul. Die Differenzen werden schon daran
deutlich, wie einer das Bauvorhaben mit Namen versieht. „Wir planen ein Ersatzbrennstoff-Heizkraftwerk“,
sagt Thomas Höring, der Vorsitzende der Geschäftsleitung in Leppersdorf. „Die
wollen eine Müllverbrennungsanlage bauen“, sagt Matthias Rangics, Sprecher der
Interessengemeinschaft „Gesunde Zukunft – keine Müllverbrennung bei Müllermilch”,
die sich im Sommer gegründet hat.
Bettlaken gegen
PR-Agentur
Es könnte ein Kampf
David gegen Goliath sein. Das Müller-Imperium gegen ein paar Rebellen, die vom
Wohnzimmer ihres Sprechers aus operieren. Sachsenmilch hat sich der Dienste
einer professionellen PR-Agentur versichert, allen Haushalten eine 26-seitige
Broschüre auf blütenreinem Papier zukommen lassen, einen Offenen Brief der
Mitarbeiter verteilt, einen vierseitigen Bürgerbrief nachgeschoben und eine
Akzeptanz-Untersuchung mit repräsentativer Telefonumfrage – durchschnittliche
Interviewdauer 20 Minuten – durchführen lassen. Deren erstaunliche Botschaft:
Eine Mehrheit sei für den Bau.
Die Gegner der Anlage
aber geben sich lange nicht geschlagen. Sie kämpfen nicht nur mit einem Bettlaken
an einem Leppersdorfer Zaun: „Müllverbrennung – nein Danke“. Die
Interessengemeinschaft bezog Stellung an einem Tisch vor dem Bierzelt beim
Dorffest und sammelte auch Unterschriften. Auch sie beklagt sich nicht über
mangelnde Zustimmung. Auch sie verteilt Faltblätter, professionell gedruckt,
sie kontert die Internetseite pro Heizwerk mit einer contra Müllverbrennung,
hielt wie Sachsenmilch auch Informationsveranstaltungen ab und ist rührig. Sie
hat einen mächtigen Verbündeten: Die Abneigung vieler Bürger gegen eine wie
auch immer benannte Müllverbrennungsanlage in der Nachbarschaft. Etliche sind
erst nach der Wende hinausgezogen aus der Stadt ins Grüne und besonders
sensibel, wenn ihre Lebensumwelt bedroht erscheint.
300 000 Tonnen
Abfall im Jahr
So führt die
Interessengemeinschaft die Luftverschmutzung ebenso ins Feld wie die
Verkehrsbelastung, die Angst vor Wertverlust der Grundstücke genauso wie das
Misstrauen, was alles im Müllofen landen könnte. Sogar die Sorge, die
Verbindung von Müll und Milch sei nicht gerade imagefördernd, treibt die
ansonsten Müller-kritische Bürgerinitiative. „Wenn die Molkerei irgendwann
abwandern sollte, dann bleibt die Müllverbrennung“, fürchtet Matthias Rangics.
Firmen-Patriarch Müller genießt spätestens nach seinem steuerlich begründeten
Weggang in die Schweiz nicht gerade den Ruf eines Patrioten.
Das geplante
Heizkraftwerk ist groß dimensioniert – wie eigentlich alles bei Sachsenmilch.
300 000 Tonnen würde es jährlich verschlingen. Die Müllverbrennungsanlage in
Lauta bei Hoyerswerda, die den Siedlungsmüll der halben Lausitz schluckt, kommt
auf eine Kapazität von 225000 Tonnen.
„Wir steigen nicht
ins Müllgeschäft ein“, versichert Höring. Der Bau ist so wichtig, dass sich der
Manager die Zeit nimmt, selbst alles zu erläutern – ruhig, sachlich,
verbindlich. Es geht um Millionen Euro Einsparpotenzial jährlich. Die Molkerei
brauche Strom, aber vor allem Dampf. 75 Tonnen in der Stunde. Über
Wärmetauscher wird nicht nur die Milch erhitzt, mit heißem Dampf werden
Leitungen und Maschinen sterilisiert. Der Energieverbrauch dürfte dem einer
Kleinstadt entsprechen.
26Millionen Euro
zahlt Sachsenmilch für die benötigte Energie jährlich. Und die Preise steigen
rasant. Eine eigene Energieversorgung sei ein wichtiger Standortvorteil, führt
Höring ins Feld, Einsparungen würden der Wettbewerbsfähigkeit und weiteren
Investitionen zugute kommen. Ein Kohle-Kraftwerk gleicher Leistung würde 800
000 Tonnen pro Jahr schlucken, hat Sachsenmilch errechnet. So kam die Firma auf
einen besonderen Brennstoff, für dessen Abnahme es sogar Geld gibt: die
sogenannte heizwertreiche Fraktion von Abfall. Das sind Kunststoffe, Holz,
Papier – aller Abfall, der gut brennt. Er fällt in Abfall-Sortieranlagen an, in
denen der Müll der Haushalte getrennt wird. Metalle hierhin, Glas dahin, Bio
dorthin. Heizwertreiches, getrocknet und gepresst, könnte später unter anderem
zu Sachsenmilch.
Die Sortiererei hält
Ulrich Heine, Geschäftsführer des Lausitzer Abfall-Zweckverbandes Ravon zwar
für ökonomisch zweifelhaft, der Müllersche Plan aber käme der
öffentlich-rechtlichen Hand nicht ins Gehege. Der Ravon verbrennt in Lauta
Unsortiertes und hat langfristige Verträge. Seit Abfall in Deutschland nicht
mehr einfach auf Deponien geschüttet werden darf, sind Behandlungsanlagen gesucht.
Sachsenmilch hat vorgefühlt, man würde Brennmaterial aus den neuen
Bundesländern beziehen können. „Wir können mehrjährige Verträge unter Dach und
Fach bringen“, sagt Höring.
Wenn die Bürger
zustimmen. „Wie ein Messer durch die Butter“ seien alle Wünsche von
Sachsenmilch bisher durch den Gemeinderat geflutscht. „Nun ist Schluss“, sagt
Rangics. Klammheimlich habe die Firma ihr Anliegen betrieben, „bis wir es an
die Öffentlichkeit gezerrt haben,“ reklamiert der 44-jährige Ingenieur. „Den
Schuh muss ich mir anziehen, unsere Pläne in der ersten Phase nicht ausreichend
kommuniziert zu haben“, räumt Höring ein und gelobt Besserung. Die derzeitige
Charme-Offensive zählt er schon zur geläuterten Informationspolitik. Dass kurz
vor dem Bürgerentscheid ein Werksverkauf mit verbilligten Milch-Produkten
öffnet, kann zumindest auch nicht schaden.
Je weiter weg, je
gelassener
Viele Bürger sind
kritisch. „Prinzipiell“ sei er gegen diese Luftverschmutzung, sagt ein älterer
Mann. „Ich verstehe überhaupt nicht, wie Bürger dafür sein können“, sagt
Jaqueline Stief. „Ich bin prinzipiell dagegen, dass der Herr Müller mit seiner
großkapitalistischen Art die Umwelt schändet“, sagt Jens Stemmildt. Doch einige
Kilometer weiter weg vom geplanten Großofen mit 70-Meter-Schornstein wird die
Milch weit weniger heiß getrunken. „Ich gehe zum Bürgerentscheid, das ist mein
demokratisches Recht“, sagt ein 24-jähriger Lomnitzer. Aber wie er abstimmen
wird, das weiß er jetzt noch nicht. Die ganzen Broschüren anschauen, die im
Briefkasten lagen, will ein weiterer Mann. „Dann werden die verwertet, die
Kinder sammeln ja immer Altpapier“. Und eine Frau interessiert das Ganze gar
nicht. „Ich weiß nicht, ob ich gehe.“
Bleiben will auf
jeden Fall die Molkerei. Das macht Thomas Höring deutlich. Der Standort werde
nicht nach Polen verlagert, „egal wie die Entscheidung ausfällt“. Er drohe auch
nicht damit. „Das gehört sich nicht“, sagt der Manager bemerkenswerterweise.
Die Lichter gehen jedenfalls nicht aus.